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Der Winter ist uns auf den Spuren...

  • Autorenbild: chiarasue
    chiarasue
  • 25. Sept. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Hallo alle zusammen!


Wie versprochen wird es heute wieder etwas literarischer. Ich habe einen Text verfasst, der zugegebenermaßen sehr interpretationsoffen ist. Allerdings wollte ich damit etwas ganz Bestimmtes aussagen, was ich im Leben einfach sehr wichtig finde. Gleichzeitig bin ich aber auch super gespannt, was man noch herauslesen könnte oder ob ihr euch einfach denkt: "Da sind einige ihrer Gehirnzellen aber der Kälte zum Opfer gefallen." Bevor ich noch mehr vorwegnehme, lasse ich euch aber in den Text starten. Viel Vergnügen!



Die Spuren des Winters hinter sich lassen


Du hast mir davon erzählt, warum die Eichhörnchen zu den klügsten Tieren unserer Welt gehören. Wir haben gemeinsam beobachtet, wie der kleine, wuschelige Ball von Ast zu Ast gesprungen ist und schließlich ganz in der Nähe unserer Parkbank eine Nuss vergraben hat. Deine Augen haben gestrahlt, als du von dem Vertrauen des Tiers geschwärmt hast. Mit deinem Blick hast du über sein weiches Fell gestreichelt, als wäre es das Kostbarste der Welt.

Ich bin neidisch, hast du gesagt. Ich habe dich ausgelacht. Neidisch auf ein kleines Nagetier, das den ganzen Winter draußen frieren muss? Das darauf angewiesen ist, zu hoffen, dass seine Nüsse, die es vor einer halben Ewigkeit vergraben hat, noch auf es warten, um es vor dem Hungertod zu bewahren? Woher du wissen willst, dass das Eichhörnchen nicht innerlich vor Angst zittert, habe ich dich gefragt. Woher du wissen willst, dass es keine Zweifel plagen. Du hast nur gelacht, den Kopf geschüttelt und mich angeschaut, als wäre ich verrückt. Warum sollte es das tun, hast du gefragt. Tiere seien um einiges schlauer als wir Menschen. Sie würden sich keine unnötigen Sorgen machen.

Dann ist der Winter gekommen und alles ist zerbrochen. Die Kälte hat sich zwischen uns geschlichen und anstatt uns eng unter der Decke zusammenzukuscheln, sind wir weiter auseinandergerückt. Wir sind alleine erfroren. In diesem Winter ist die Welt ins Chaos gestürzt. "Wir" hat dieses Chaos nicht überlebt. Wir sind auseinandergetrieben und haben irgendwann nicht mehr die richtigen Worte gefunden, um uns wieder zu finden. Du bist aus meinem Leben stolziert, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Deine Augen waren aus Eis, deine Schritte steif, aber entschlossen.

Mit dem Frühling hat die Welt wieder Hoffnung geschöpft, doch mein Herz hat es nicht geschafft, die Schicht aus Frost von sich zu schütteln. Noch Monate nach unserem letzten Wort habe ich mir anhören müssen, wie bemitleidenswert es ist, ich zu sein. Ich habe mich bemüht. Ich habe mich bemüht, den Kopf hoch zu halten, dem Lächeln in meinem Gesicht Leben zu verleihen, dich zu vergessen.

Manchmal frage ich mich, ob du noch an mich denkst. Ob du weißt, wie weh du mir getan hast. Ob du weißt, wie oft ich mir Vorwürfe gemacht habe, unter der Decke nicht zu dir gerutscht zu sein. Ob es meine Schuld gewesen ist. Die Tränen haben mich jede Nacht heimgesucht. Ich bin immer weiter in meine Erinnerungen gekrochen, um dort den Funken zu finden, der mein Herz auftauen hätte können. Jeder Schritt in die Vergangenheit hat mich nur von neuem eingefroren.

Jetzt sitze ich hier, auf unserer Parkbank und sehe ein Eichhörnchen. Es ist nicht dasselbe wie damals. Sein Fell ist schwarz, seine Augen glänzen dunkel. Plötzlich muss ich lächeln. Unter einem Busch gräbt es mit eifrigen Klauen und als hätte es mit nichts anderem gerechnet, zieht es eine Haselnuss hervor. Sein Vertrauen wurde belohnt. Es wird besser. Du hast es mir versprochen. Ich werde dich nicht vergessen, aber unser Kapitel endlich zuschlagen, verspreche ich mir und beobachte, wie sich das Eichhörnchen mit seiner Beute davonschwingt. Warm spüre ich mein Herz gegen meine Brust schlagen und spüre: Der erste Schritt ist getan.



Wie hat euch die kleine Geschichte gefallen? Was lest ihr heraus? Der Dreh- und Angelpunkt dieses Textes ist für mich eindeutig das Eichhörnchen. Es geht darum, dass es jedes Jahr eifrig Essen sammelt, dies vorsorglich eingräbt, um im Winter, wenn nichts mehr wächst, nicht verhungern zu müssen. Wenn sein Magen knurrt, erwacht es aus seiner Winterruhe und folgt der unglaublich detaillierten Karte in seinem Kopf zu seinen Verstecken. Das "Du" im Text bewundert das Vertrauen des Eichhörnchens. Den starken Glauben daran, dass sein Futter immer noch da sein wird. Auch das Vertrauen, dass es wieder aus seiner Winterruhe erwachen wird. Für mich war das seit jeher ein spannendes Thema. Ich habe beispielsweise Angst vor Narkosen. Glücklicherweise bin ich noch nie operiert worden, denn der Gedanke daran, zu wissen, dass ich zum Einschlafen gebracht werde, behagt mir ganz und gar nicht. Noch weniger, wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass ich wieder aufwache. Im Endeffekt können wir uns das aber nie sein. Deswegen bewundere auch ich das Vertrauen des Eichhörnchens.

Worum geht es sonst? Liebe? Trennung? Tod? Der gesamte Text lässt sich unglaublich metaphernreich lesen, was unendlich viele Interpretationen erlaubt. Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch ich könnte nicht genau sagen, für welche Version ich mich schlussendlich entschieden habe. Die Wahrheit muss ja nicht immer eindeutig sein ;)

Was auf jeden Fall eine große Rolle spielt, ist die Kälte. Das ist kein Zufall. Vor einer Woche ist der warme Spätsommer aus unerfindlichen Gründen in eiskalten Winter umgeschlagen. Von lüftigen Kleidern habe ich abrupt auf warme Tiefwinterpullover wechseln müssen. Mein Kleiderschrank ist das reinste Chaos. Und nun sitze ich hier mit tropfender Nase vorm Laptop und wünsche mir den Frühling zurück. Wer weiß? Vielleicht taue ich demnächst mal wieder auf....


Euch wünsche ich jedenfalls einen schönen, entspannten Sonntag! Vielleicht sehr ihr ja irgendwo ein Eichhörnchen durch die Gegend flitzen und denkt an mich ....;)


 
 
 

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