Eines Tages
- chiarasue
- 17. Apr. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Fröhliche Ostern!
Da habt ihr meinen Beitrag doch tatsächlich gefunden. Na gut, ich muss zugeben, so gut habe ich ihn nicht versteckt. Mehr so nach dem Motto: „Das Offensichtliche übersieht man am leichtesten." Ich hoffe, eure Ostergeschenke waren besser versteckt. Vielleicht sogar schon so gut, dass ihr sie noch gar nicht gefunden habt...
Ich feiere heute etwas ganz Besonderes. Meine Großeltern hatten gestern ihren fünfzigsten Hochzeitstag. Unglaublich, oder? Meine Großeltern sind schon mehr als doppelt so lange verheiratet, wie es mich überhaupt gibt. Gerade in heutigen Zeiten ist die goldene Hochzeit ein Fest, das, denke ich, nicht mehr so oft gefeiert werden kann, weil die Menschen es einfach nicht mehr so lange miteinander aushalten.
Kennt ihr die Theorie, dass im Vergleich zu früher so viele Ehen in die Brüche gehen, weil man damals kaputte Dinge repariert hat, anstatt sie auf den Müll zu werfen? Als ich das das erste Mal gehört habe, war ich sehr berührt. Vermutlich ist das nicht der einzige und vielleicht auch nicht der ausschlaggebende Grund, aber ein bisschen Wahrheit steckt garantiert dahinter. Und ich denke, es schadet garantiert nicht, sich einmal darüber Gedanken zu machen.
Auf jeden Fall möchte ich den heutigen Blogbeitrag meinen Großeltern widmen. Zum einen weil ich ihnen unglaublich dankbar bin für alles, was sie für mich und meine Familie leisten, und zum anderen weil ich sie dafür bewundere, sich und ihrer Liebe so lange treugeblieben zu sein.
Ich habe den beiden einen Text geschrieben, der nicht ganz so geworden ist, wie ich das geplant hatte. Deswegen ist mir wichtig zu betonen, dass es in diesem Text nicht um meine Großeltern geht. Es geht um zwei Menschen und ihre Gefühle füreinander, ja, aber nicht im Speziellen um meine Großeltern. Dafür ist mein Hang zur Dramatik zu sehr mit mir durchgegangen ;)
Eines Tages
„Weil es jede einzelne Sekunde des Wartens wert ist."
Sie hatte in ihrem Leben lange gewartet. Gewartet, bis das Warten ein Ende haben würde. Es war ein beharrliches Warten. Ein Warten voller Hoffnung. Ein hartnäckiges Warten.
Er wartete auch. Er wartete, bis ihn das schlechte Gewissen loslassen würde. Bis er endlich frei atmen könnte. Er wartete darauf, dass ihn die Zukunft freilassen würde, während sein Herz in die Vergangenheit strebte.
Die Zeit hinterließ ihre Spuren auf ihnen. Aus ihren Augen verschwand die Leichtigkeit. Seine Schritte erlahmten, vom unbeugbaren Willen nach vorne gedrängt. Ein unsichtbarer Umhang aus Bitterkeit legte sich um ihre Schultern. Seine Hände krümmten sich im Versuch, etwas zu fassen, das er verloren hatte, ohne es je besessen zu haben. Ihre Gestalt büßte Farbe ein und passte sich an das trübe Grau des Alltags an. Die Schuld fesselte seine Lippen und vertrieb das leichte Schmunzeln, das sie an ihm stets am meisten geliebt hatte.
Jeder hatte ihr gesagt, es wäre ein Abschied. Ein Abschied für immer. Aber sie beharrte darauf, dass es ein Warten war. Ein Auf Wiedersehen. Doch die Tage, an denen sie noch jeden Abend erwartungsvoll die Bahnsteige absuchte, vergingen. Das schwertgleiche Stechen, das ihre Brust zu zerreißen schien, glomm ab zu einem zarten Ziehen, das sie tagtäglich begleitete. Doch es brach nie ab. Es wirkte beinahe, als würde sie sich mit dem Schmerz schmücken. Sie setzte ihre Schritte mit jedem Morgen, den sie ohne ihn erwachte, entschlossener. Die Menschen um sie herum bewunderten sie für ihre Stärke und behaupteten, sie hätte sich der Realität erfolgreich gestellt. Niemand sah den Funken, der seit jeher in ihrer Brust brannte und nie verglomm. Niemand sah, dass ihre Sturheit sie weit vom Boden entfernt hielt.
Er erkundete auf der Suche nach dem Innen das Außen und wunderte sich, dass er nicht fündig wurde. Jeder seiner Atemzüge richtete sich nach hinten, egal wie kräftig er ihn nach vorne zwang. Seine Gedanken waren gefangen von einem Versprechen, das er nie einzuhalten gedacht hatte. Er wusste, dass er einen Fehler begangen hatte, doch er hatte zu viel Angst, um es sich einzugestehen. Er wollte sich von ihr nicht anketten lassen. Er wollte die Freiheit. Doch als er sie mit all seinen Sinnen erlebte, spürte er sie nicht mehr. Irgendwann war zu viel Zeit vergangen, um an eine Rückkehr zu denken. Er wollte von Neuem beginnen, doch obwohl sein Gedächtnis mit den Jahren immer schwächer wurde, konnte er sie nicht vergessen.
Als ihn das Leben schließlich in seine Heimat zurücktrug, war er sich mit jeder Faser seines Körpers des Abschieds bewusst, der eine Flucht gewesen war. Er sah die Straßen, in denen er aufgewachsen war und erinnerte sich plötzlich mit voller Klarheit wieder an alles, was ihm hier widerfahren war. Er wusste, dass er ihr nah war, doch er brachte nicht den Mut auf, ihr gegenüberzutreten.
Die Menschen versuchten mit solcher Dringlichkeit, sein Ankommen vor ihr zu verbergen, dass sie natürlich Wind davon bekam. Doch sie suchte ihn nicht auf. Sie war diejenige, die wartete und sie würde nicht damit aufhören, bis er sie erlöste.
Manche mögen es Schicksal nennen, andere Zufall. Sie trafen sich am Tag seiner geplanten Abreise am Bahnsteig. Er sah sie als erstes. Er erkannte sie auf den ersten Blick, obwohl die Zeit ihre junge Gestalt beinahe unkenntlich gemacht hatte. Als er sie sah, fiel die Angst gleich einem Schleier von seinem Kopf und gab ihm den Blick auf all die Möglichkeiten, die er vergeblich gesucht hatte, frei.
„Manuela", sagte er.
Sie drehte sich um. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, doch er sah den Funken. Und er begriff, dass sie nie aufgehört hatte zu warten.
„Johannes", sagte sie.
Und das Warten hatte ein Ende.
Ich hoffe, euch hat der Text gefallen und wir hören uns nächsten Sonntag wieder :)

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