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Sein Tanz

  • Autorenbild: chiarasue
    chiarasue
  • 20. Juni 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Hallo ihr Lieben!


Ich habe mir gedacht, dass es mal wieder Zeit für einen meiner Texte wird. Jetzt habe ich schon so lange nichts mehr aus meiner verstaubten Geschichtenkiste herausgekramt. Aber heute konnte ich mich endlich dazu aufraffen.

Der folgende Text ist als Übung für die Matura entstanden. Mit meiner eigenen Meinung darüber halte ich mich lieber mal zurück. Schaut selbst, welche Gedanken bei euch entstehen :)


Sein Tanz


Der Schatten über den Wellen hat zu mir gesprochen.

Seine Stimme ist tief gewesen, obwohl ich am Ufer gesessen bin. Er hat mich gerufen. Meinen Namen hat er nicht genannt, aber ich weiß, dass er mich gerufen hat. Mich allein. Also bin ich ihm gefolgt. Das Wasser lief knisternd an meinen Knöcheln hinauf. Die Kälte klammerte sich an meine nackten Waden.

Ich erinnere mich nicht mehr, was dann passiert ist.

Die Schreie meiner Mutter haben mich geweckt. Mein Bruder hat versucht, sie zu übertönen. Erfolglos. Niemand übertönt meine Mutter, wenn der Zorn in ihr lodert. Ich habe gehört, wie sie diskutiert haben. Sie haben über mich geredet. Erst dann habe ich bemerkt, dass meine Haare dunkle Kreise auf meine Bettdecke tropfen.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Der Schatten über den Wellen hat mich gerufen.“

Das habe ich jedem erzählt, der mich danach gefragt hat. Niemand hat mir geglaubt, obwohl es die Wahrheit war. Nie. Auch später nicht. Nicht, als ich während der Wanderung von der Klippe gesprungen bin. Nicht, als ich mich vom Fluss forttreiben habe lassen. Nicht, als ich den Staudamm geöffnet habe.

Damals hat es angefangen. Damals habe ich ihn das erste Mal gesehen. Leicht und verführerisch hat er über dem Wasser getanzt, als wären die Wellen sein Rhythmus und der Ozean sein Kleid. Ich werde nie vergessen, wie seine Stimme in meinen Ohren klingt. Ich frage mich, warum die anderen ihn nie gehört haben.

Meine Mutter hat mich zu mehr Ärzten gebracht, als ich an einer Hand abzählen kann. Ich habe ihnen von dem Schatten erzählt. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Eine Wahrsagerin hat den Grund für mein Anderssein im Himmel gesucht. Der Mond wäre schuld, hat sie gemeint. Dabei habe ich ihr genau beschrieben, dass es der Schatten über den Wellen war.

Zu Vollmond hat mir meine Mutter dann immer ein Tuch vor die Augen gebunden. Das Licht hat sie ausgesperrt, aber nicht die Klänge. Die Ohren hätte sie mir zuhalten müssen. Ich habe Musik gehört und bin ihr gefolgt. Ich habe sofort gewusst, dass es seine Melodie gewesen ist. Sie ist flüssig gewesen. Federflüssig. Ich bin aufgestanden und habe angefangen zu tanzen. Und ich weiß, dass er mich beobachtet hat. Dem Schatten kann man sein Augenlicht nicht nehmen.

Mein Bruder hat Angst vor ihm gehabt. Er hat immer versucht, mich davon zu überzeugen, dass es ihn nicht gibt.

„Schatten können nicht sprechen.“

„Du hast ihn nur nicht gehört.“

„Das bildest du dir ein.“

Es ist zwecklos gewesen, sie zu überzeugen. Mir hat nie jemand geglaubt, aber das haben sie auch nicht müssen. Ich habe ja gewusst, dass es ihn gibt. Ich habe nie an ihm gezweifelt. Die Ärzte haben mich dazu aufgefordert. Aber wenn ich hinterfragt hätte, was ich wahrgenommen habe, hätte sich die Realität von ihren Wänden geschält.


Der Schatten über den Wellen spricht zu mir. Ich höre ihn ganz deutlich. Er ruft nach mir. Langsam beuge ich mich zu ihm hinab und sehe mein Spiegelbild neben seinem. Meine Mundwinkel zucken. Fragend blicke ich in seine Augen. Schweigend setzt er seinen Tanz fort. Aufgeregt werfe ich einen letzten Blick zurück auf das schwache Licht, das aus dem Wohnzimmerfenster strahlt und die Umrisse der Umzugskartons auf die Terrasse malt. Eine dünne Sichel spiegelt sich auf der Oberfläche. Ich will sehen, was darunterliegt. Vorsichtig gleite ich in die Kälte und genieße das Stechen in meiner Haut. Die Schwärze schließt mich in ihre frostige Umarmung und ich spüre, wie mich der Schatten nach unten zieht.



Ja, ja, ziemlich düster, ich weiß. Aber so ist der Text vielleicht wenigstens eine Abkühlung zu der Hitze draußen... Und um die Stimmung noch etwas zu trüben, habe ich eine weitere, nicht so wunderbare Nachricht für euch: Nächste Woche starte ich auf Maturareise und werde deswegen am Sonntag höchstwahrscheinlich nichts posten können. Lasst euch überraschen. Ansonsten genießt die Sonne, ein Eis und im besten Fall eine spannende Lektüre!


Ich wünsche euch noch einen schattenreichen, abkühlenden Sommersonntag! Bis nächste Woche (oder übernächste...)! ;)



 
 
 

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