TRAUEN
- chiarasue
- 29. Mai 2022
- 5 Min. Lesezeit
Trau dich! Spring! Reiß dich zusammen! Mach schon! Hab den Mut!
Haben Worte die Macht, uns Mut zu schenken? Oder ihn in uns zumindest zu erwecken? Uns aufzurichten, an der Hand zu nehmen und in eine bestimmte Richtung zu stoßen?
Herzlich willkommen zum heutigen Blog! Wie ihr schon erahnen konntet, dreht sich heute alles um das vieldeutige Wörtchen „trauen“. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt es mir. In ihm stecken einfach so viele verschiedene Ausdrücke und Handlungen, positiv wie negativ. Welche kommt euch als erstes in den Sinn? Vermutlich diejenige, auf die ich gleich zu Beginn angespielt habe.
„Trauen“ im Sinne von „den Mut haben“. Oftmals, vor allem wenn man der Situation nicht traut und sich selbst nicht vertraut, ist es gar nicht so leicht, sich zu trauen (womit wir zwei weitere Bedeutungen haben, auf die ich später noch eingehen werde). Wenn ich an „sich trauen“ denke, habe ich immer das Konzept eines Schritts im Kopf. Sich trauen ist etwas Punktuelles. Hat man einmal den Mut gefasst und die Entscheidung getroffen, hat man es geschafft. Die Angst verschwindet vielleicht noch nicht und die Anspannung bleibt womöglich eine ganze Weile, aber der Schritt ist getan. Man hat sich getraut.
Ganz im Gegensatz dazu steht die nächste Bedeutung: „Ich traue dir nicht." „Jemandem trauen“ hängt sehr eng mit dem Nomen „Misstrauen“ zusammen. Ich würde den Beispielsatz allerdings nicht gleichsetzen mit „Ich vertraue dir nicht.“ Auf Vertrauen kommen wir gleich noch zu sprechen, doch ich möchte es im Vergleich zum Misstrauen kurz herausheben. Für mich sind diese beiden Begriffe keine komplementären Gegensätze, sondern zwei äußere Enden eines Kontinuums. Wenn ich jemanden nicht vertraue, heißt das nicht, dass ich ihm automatisch misstraue. Misstrauen ist selbstverständlich auch etwas sehr Subjektives. Es gibt von Grund auf misstrauische Personen, die sofort alles und jeden verdächtigen. Mathematiker zum Beispiel. Die können nie etwas einfach glauben, sondern müssen immer alles beweisen. Natürlich treffen wir auch auf das Gegenteil: Personen, die schon sehr naiv durch das Leben laufen. Und dann bezeichnen wir gewisses Verhalten in gewissen Situationen unter gewissen Umständen als Misstrauen erregend, die wir zu anderen Bedingungen normal finden würden (wenn zum Beispiel der kleine Bruder plötzlich freiwillig und von sich aus die Küche putzt, nachdem er sein halbes Müsli überall verteilt hat). Da ist etwas im Busch, würde man dann sagen. Ist Misstrauen nun also schlecht? Oder notwendig? Wie immer lautet meine Antwort: beides. Das wird ja fast schon langweilig. Deshalb erspare ich euch die lange Version und kürze charmant ab: Die Dosis macht das Gift.
Kommen wir zum Vertrauen. Genau wie das Misstrauen ist dieses im Gegensatz zum „sich trauen“ etwas Graduelles, das langsam von sich geht und kein eindeutiger Schritt. Bevor ich mit diesem Beitrag begonnen habe, habe ich sehr intensiv darüber nachgedacht, ob es einen Unterschied zwischen Vertrauen und Glauben gibt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das zwei Begriffe sind, die auf den ersten Blick ganz unterschiedlich wirken, bei näherem Hinsehen aber sehr Ähnliches, wenn nicht sogar dasselbe ausdrücken. Interessanterweise assoziiere ich Glauben aber mehr mit kognitiven Denkprozessen und Vertrauen mit einem Gefühl. Vielleicht lässt sich Glauben auch etwas leichter steuern als Vertrauen. Wenn ich zum Beispiel sage „Ich glaube an dich“ ist das dann dasselbe wie „Ich vertraue dir"? In gewisser Hinsicht doch schon, oder? Etwas offensichtlicher wird es vermutlich, wenn man „Ich vertraue auf deine Fähigkeiten" hernimmt.
Was sagt ihr zu diesem Thema? Gibt es einen Unterschied zwischen Glauben und Vertrauen? Wenn ja, welchen?
Auf jeden Fall wollte ich eigentlich zum Vertrauen zurück. Beim Vertrauen sind wir auf der anderen Seite der Skala angekommen. Vertrauen verbinde ich ganz instinktiv mit „Loslassen“. Für mich ist Vertrauen, sich jemandem oder etwas bedenkenlos hinzugeben und die Zweifel schweigen zu lassen. Vertrauen ist auch etwas, das man nicht erzwingen kann. Viel eher schrumpft es, je mehr Druck ausgeübt wird. Wenn einem vertraut wird, ist das wahrhaft ein Geschenk, das von Herzen kommt. Vertrauen kann man nämlich auch nur sehr schwer vortäuschen.
Natürlich gibt es aber auch zu viel des Guten. Es ist nicht ratsam, jedem Fremden gleich überallhin zu folgen und alles zu sagen, was man gerade denkt.
Dennoch ist Vertrauen etwas, das ich aus meiner Sicht zu wenig habe. Das hängt stark mit den vielen Gedanken, die unaufhörlich durch meinen Kopf schwirren, zusammen . Ich denke einfach an zu viele Möglichkeiten, die sich als Sorgen entpuppen und mein Misstrauen stärken. Ich bin mir sicher, dass ich schon oft betont habe, wie hilfreich es sein kann, einfach ins Leben zu vertrauen. Ich tu's trotzdem noch einmal, weil man das in meinen Augen nie oft genug hören kann. Es erleichtert das Leben ungemein, mit einem gewissen Grundvertrauen durch die Tage zu schlendern und darauf zu vertrauen, dass das Leben nur das Beste für einen will. Das wird uns manchmal immens erschwert und funktioniert natürlich nicht immer, aber mir hilft der Gedanke und das nachfolgende Gefühl stets, mich wieder zu beruhigen.
Kommen wir zur letzten und wahrscheinlich konkretesten Bedeutung: „trauen“ im Sinne von „jemanden verheiraten“. Ja, was soll ich sagen. Wenn man sich vertraut und nicht misstraut und wenn man sich traut, sich zu trauen, wird man eben getraut. Ganz nett finde ich hier die Verbindung zum Vertrauen und außerdem zum „sich trauen“ im Sinne von „den Mut haben“, ist doch heiraten auch ein großer Schritt, den man (im Optimalfall) nur einmal geht.
Jetzt haben wir eine wunderschöne Mischung aus verschiedensten Bedeutungen und weil ich gerade für eine Sprachwissenschaftsprüfung lerne, wollte ich es mir nicht nehmen lassen, auch auf den grammatikalischen Aspekt etwas einzugehen. In dieser Hinsicht kann man nämlich alle „trauen“s wunderbar unterscheiden. „Sich trauen“ ist beispielsweise ein reflexives Verb. Das bedeutet, man braucht das reflexive Pronomen - in diesem Fall „sich" -, weil sich das Ganze auf das Subjekt selbst bezieht. „Jemandem miss-/vertrauen" braucht nur ein indirektes Objekt, also einen Dativ. „Jemanden trauen“ geht wiederum mit einem direkten Objekt, einem Akkusativ einher. Im Satz kann man also immer herauslesen, um welches „trauen“ es sich handelt. Ganz schön cool, oder?
Ja, ja, ich höre schon auf mit dem hochtrabenden Sprachwissenschaftsgeschwafel. Oder findet ihr das vielleicht sogar interessant? Ich muss zugeben, dass ich da schon einiges Verblüffendes gelernt habe. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es deutsche Sätze ohne Subjekt gibt? Ich glaube, es sagt viel über mich aus, dass mich diese Tatsache von den Socken gehauen hat. Hoffentlich bleiben mir meine Freunde erhalten... ;)
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Fällt euch vielleicht noch eine Bedeutung von „trauen“ ein, die ich vergessen habe? Ich bin nach wie vor begeistert von diesem Wort. Was sagt ihr dazu? Sehe ich Magie, wo keine ist und interpretiere schon wieder die Wolken aus dem Himmel oder teilt ihr meine Faszination?
Ich bin auf jeden Fall gespannt auf eure Meinung.
Wir hören uns nächsten Sonntag. Bis dann!

Comentários