Wahre Stärke
- chiarasue
- 21. Mai 2023
- 5 Min. Lesezeit
Hallo alle miteinander!
Wie geht es euch? Freut ihr euch über die warmen Tage in letzter Zeit? Ich weiß, ich spreche am Anfang immer so viel über das Wetter, aber irgendwie ist das auch ein ganz wichtiger Faktor in unserem Alltag, der uns unterbewusst bestimmt viel mehr beeinflusst, als wir denken. Das Wetter bietet den Hintergrund für das, was wir erleben und da macht es schon einen Unterschied, ob es in Strömen regnet oder die Sonne scheint. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass dieses Wochenende die Sonne scheint. Das gibt mir Zuversicht und lässt mich leichter entspannen. Außerdem bekomme ich Lust, etwas zu unternehmen. Geht es euch ähnlich? Oder seid ihr zu einem Großteil wetterunabhängig?
Wie dem auch sei, heute habe ich schon wieder einen Text für euch. Irgendwie bin ich in letzter Zeit in literarischer Stimmung, was mich sehr freut. Und es wird tierisch spannend...
Wahre Stärke
Tief in seinem Inneren spürte er, wie sich das Knurren anbahnte. Seine Schultermuskeln spannten sich an und sein Körper machte sich bereit zur Verteidigung. Oft hatte er sich in diese Haltung begeben. Jeden Muskel unter vollkommener Kontrolle, die Ohren weit geöffnet, die Augen konzentriert zusammengekniffen. Früher hatte er dieses Gefühl stets genossen. Damals hatte er gewusst, dass er siegreich aus jeder Auseinandersetzung herausgehen würde. Er hatte gewusst, dass er stärker war als jeder, der sich ihm in den Weg stellen könnte. Er war sich seiner Umgebung bis ins kleinste Detail bewusst gewesen. Das leiseste Rascheln hatte er vernommen und sofort zuordnen können, ob es sich um eine Maus im hohen Gras handelte, ob der Wind die Äste der Savannensträucher bewegt hatte oder ob tatsächlich ein Feind auf das Rudel lauerte.
Er hatte Gefahr aus weiter Ferne gerochen und sich bald durch seine Stärke einen Namen gemacht. Es hatte nicht lange gedauert, bis ihn jedes Tier in der Umgebung gekannt hatte. Nur in den seltensten Fällen hatte es jemand gewagt, seine Autorität infrage zu stellen, oder sich einen Spaß daraus gemacht, ihn herauszufordern. Jedes Mal hatte er sich durchgesetzt. Es war für ihn nie eine Frage gewesen, ob er es schaffen würde. Zu verlieren, war für ihn gar keine Möglichkeit gewesen. Sein Weg hatte stets nur nach vorne geführt und das Rudel war ihm gefolgt.
Unter seiner Herrschaft hatten sie sich sicher gefühlt. Sie hatten gewusst, dass er sie alle beschützen würde. Ihr Vertrauen hatte ihn mit Stolz erfüllt und ihn weiter beflügelt. Er war ein König gewesen, zu dem jeder aufgeschaut hatte. Seine Feinde hatten ihn respektiert, seine Anhänger hatten ihn geliebt. Für den Nachwuchs war er ein Vorbild gewesen. Die jungen Löwen hatten von Kindheit auf geträumt, eines Tages wie er zu sein. Mit der Zeit war er zur lebenden Legende geworden.
Doch während die Stärke in ihm nie gewichen war, war sein Körper mit den Schritten der Zeit in sich zusammengesunken. Nach wie vor trugen ihn seine sehnigen, zähen Beine entschlossen durch die Savanne, doch die Führung hatte schon vor Jahren einer seiner Söhne übernommen. Der Respekt ihm gegenüber hatte ihm den ewigen Platz im Rudel gesichert, aber nun war nicht mehr er es, der voranschritt. Er hatte eingesehen, dass er das Alter nicht wie andere Feinde abwehren konnte. Sein Gehör, seine Augen und seine Schlagkraft hatten stark nachgelassen und als er begriffen hatte, dass er dem Rudel nicht mehr den gewohnten Schutz bieten konnte, hatte er der neuen Generation ihren Platz überlassen.
Es erfüllte ihn auch mit Stolz zu sehen, wie sich sein Sohn als König schlug. Genau wie er hatte er nie einen Zweifel daran gehabt, der Richtige für diesen Platz an der Spitze zu sein. Den jugendlichen Leichtsinn hatte ihm sein Vater bald ausgetrieben. Nun war er ein starker, vernünftiger Anführer, dem das Rudel genauso ergeben folgte wie zuvor seinem Vater.
Und als sich sein Körper in diesem Moment anspannte, fühlte der alte Löwe etwas, was er seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Es war kein Feind, dem er sich mit Krallen und Gebrüll zur Wehr setzen konnte. Dieser Gegner wohnte in ihm selbst. Es war die Angst.
Das Rudel war an einen breiten Bach gekommen, den sie mit einem Sprung überqueren mussten. Die Felsen auf der anderen Seite waren spitz. Er musste seine Landung gut koordinieren, um sich nicht den Bauch aufzuschlitzen. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten stellte er sich die Frage, ob er das schaffen würde. Die Zweifel nagten an seiner schlaffen Haut. Tief sog er Luft in seine Lungen.
Ein schwerer Vorhang legte sich über seine Schultern. Was war nur aus ihm geworden? Früher hätte er keine Sekunde gezögert. Nun hatte er zugelassen, dass ihn die Angst nach all den Jahren eingeholt hatte. Vielleicht war das ein Zeichen. Vielleicht sollte er nicht springen. Vielleicht war es endgültig Zeit, zurückzubleiben und mit der Vergangenheit abzuschließen.
Er spürte, wie ihm die Löwinnen einen irritierten Blick zuwarfen. Als er bei einigen auch Mitleid in der Miene erkannte, senkte er den Kopf. So tief hätte er nie sinken dürfen.
"Unserem Sohn hast du immer gesagt, dass es nicht auf die Stärke des Feindes ankommt", vernahm er plötzlich eine warme Stimme von hinten. Es war eine Löwin, die er sehr zu schätzen gelernt hatte. Sie begleitete ihn schon lange und auch, wenn er sich nie etwas sagen hatte lassen, hatte er ihre Meinung zu schätzen gelernt.
Als er diese Worte hörte, erinnerte er sich an das Gespräch mit dem kleinen Löwen zurück. Er hatte ihm anvertraut, dass das Geheimnis seiner Macht darin lag, stets von seinem Sieg überzeugt zu sein. Keine Zweifel zuzulassen. Jede Sekunde an sich selbst zu glauben. Den Unterschied machten nicht die Größe, nicht die Kraft, sondern das, was im Kopf passierte.
Nachdem sie ihm noch einen langen Blick zugeworfen hatte, stieß sich die Löwin ab und landete leichtfüßig auf der anderen Seite des Bachs. Sie drehte sich nicht mehr um. Inzwischen hatten es alle Mitglieder des Rudels über das Hindernis geschafft. Von ihrer Präsenz erzählten lediglich die wippenden Grasspitzen, zwischen denen die Tiere verschwunden waren.
Ein Schnauben brach aus dem alten Löwen hervor. Was war denn nur in ihn gefahren? Natürlich würde er diesen Sprung schaffen. Er war in seinem Leben so weit gekommen und auch, wenn ihn sein Körper dazu zwang, hin und wieder zurückzustecken, war er noch lange nicht an seinem Ende angelangt. Entschlossen lehnte er sich nach hinten und stieß die Krallen in das trockene Erdreich. Tief durchatmend schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, funkelten sie gefährlich.
Knurrend stieß er sich ab, nahm Anlauf und katapultierte sich in die Luft. Weit über die spitzen Felsen flog er hinweg und landete sicher auf der anderen Seite. Anstatt anzuhalten, sprintete er weiter, tauchte in das hohe Steppengras und spürte, wie das Leben in seinen alten Muskeln wieder aufblühte. Wie von selbst entsprang aus seiner Brust ein Brüllen, das leicht mit seinen besten Tagen mithalten konnte. Das Gefühl der Freiheit beflügelte die Schritte des alten Löwen und in ihm pulsierte die gewohnte Stärke. Er hatte das Vertrauen in sich wieder gefunden.
Und wie gefällt euch der Text? Für mich hat er eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit dem Glauben an sich selbst ganze Berge fallen oder sich erheben können. Unser Kopf kann uns manchmal vehement im Weg stehen. Genauso hat er aber auch die Macht, uns weiter zu bringen, als wir uns vorstellen zu können.
Dann muss ich mich gleich noch für nächste Woche entschuldigen. Ich werde verreisen und meinen Laptop zuhause lassen. Deshalb wird es nächsten Sonntag aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Blogbeitrag geben. Dafür werde ich sicher sehr interessante Sachen erleben, von denen ich dann nachher berichten kann ;)
Ich wünsche euch einen wunderschönen Sonntag! Genießt die Sonne ;)

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